Donnerstag, 2. Oktober 2025
Bahnhof Elze (Wartehalle)
Bahnhofstr. 70, 31008 Elze (Leine)
Ein integrierter und verlässlicher öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist für das Flächenland Niedersachsen, in dem der Großteil der Menschen im ländlichen Raum lebt, die Voraussetzung für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen. Im Spannungsfeld von persönlicher Lebensqualität, Standortattraktivität sowie ökologischer und finanzieller Nachhaltigkeit braucht es attraktive ÖPNV-Infrastrukturen und Angebote bis zur Haustür. Wo steht der ÖPNV in Niedersachsen? Wie kann eine noch bessere Verzahnung von Bahn, Bus und weiteren Angeboten gelingen? Was braucht es, um Fahrgästen mehr Transparenz und Verlässlichkeit zu geben? Welche innovativen Ideen und Lösungen können uns gemeinsam voranbringen?
Diese und andere Fragen rund um die Zukunft des ÖPNV in Niedersachsen wurden an einem Ort diskutiert, der zugleich als Beispiel für die Chancen und Herausforderungen der künftigen Mobilität diente: am Bahnhof in Elze, einer Kleinstadt im Landkreis Hildesheim und zugleich wichtiger Verkehrsknotenpunkt im ländlichen Raum.
Beim 30. WirtschaftsDienst Forum gaben Entscheidungsträger einen Einblick in die aktuellen Rahmenbedingungen, die Realität an Gleisen und (Bus-)Bahnhöfen und die Ausrichtung in die Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs in Niedersachsen.
Zum Netzwerken und für einen fachlichen Impuls kam auch Grant Hendrik Tonne, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Bauen, in die Wartehalle des Elzer Bahnhofs. Weitere Impulse, eine anschließende Diskussionsrunde sowie ausführliche Gespräche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss komplettierten das WirtschaftsDienst Forum, zu dem der WirtschaftsDienst mit seinen Sponsoren und Partnern die Führungskräfte und Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung eingeladen hatte.
In einer umfassenden Berichterstattung werden wir in Kürze noch weiter inhaltlich über das WirtschaftsDienst Forum berichten.
Bild: Michael Weber, Sprecher des Geschäftsführenden Vorstands, ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt e.V., Kai Henning Schmidt, Geschäftsführer des RVHI Regionalverkehr Hildesheim GmbH, Grant Hendrik Tonne, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Bauen, Thomas Küllig, Bürgermeister des Flecken Coppenbrügge, Carmen Schwabl, Sprecherin der Geschäftsführung der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen GmbH, Albert Fischer, Geschäftsführer der Albert Fischer GmbH, Dr. Christoph Wilk, Abteilungsleiter Verkehr aus dem Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Bauen und WirtschaftsDienst Geschäftsführer Andreas Bosk (v.l.), Fotograf: Henning Scheffen
ELZE / HANNOVER. Vorab: Es mangelt an Geld und an Fachkräften. Doch dass der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) auch im Flächenland Niedersachsen eine Zukunft hat, daran ließen alle Teilnehmer des 30. WirtschaftsDienst Forums zum Thema „Stadt, Land, Schluss?“ keinen Zweifel. Mit einem klaren Bekenntnis zum ländlichen Raum eröffnete Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) die Veranstaltung, zu der WirtschaftsDienst-Geschäftsführer Andreas Bosk Anfang Oktober in die Wartehalle des Bahnhofs in Elze eingeladen hatte. Die Kleinstadt im Landkreis Hildesheim und ihr über 170 Jahre alter Bahnknoten sollte als Beispiel für die Herausforderungen des ÖPNV dienen. Hier kreuzt sich die RE2 („metronom“) von Hannover nach Göttingen und die problembehaftete RB77 von Hildesheim nach Hameln. Das Land sei sich seiner Verantwortung bewusst und investiere – auch mit Unterstützung des Bundes und der EU – kräftig in die Infrastruktur, erklärte der Minister. Mit dem „Zukunftsprogramm Infrastruktur“ sollen allein noch in diesem Jahr 500 Millionen Euro für die Stabilisierung der Bestandsverkehre und die Unterstützung von Fahrzeugbeschaffungen bereitgestellt werden. Angesichts des enormen Investitionsstaus sei jedoch die Sicherstellung des „Status quo“ Ziel genug. Die steigende Nachfrage nach Bus und Bahn – auch durch das Deutschland-Ticket – sei positiv, erhöhe aber auch den Druck, die Angebote quantitativ und qualitativ zu verbessern. Damit diese für die Menschen zeitnah spürbar werden, müssten alle Akteure noch mehr als bisher gemeinsam an innovativen Lösungen arbeiten. Die Digitalisierung biete hier große Chancen, betonte Tonne.
Hoffen auf die Digitalisierung
Carmen Schwabl, Sprecherin der Geschäftsführung der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG), nahm diesen Ball dankbar auf. Sie organisiert für das Land den Schienen-gebundenen ÖPNV (SPNV), ist Eigentümerin von 595 Zügen, die sie an die beauftragten Eisenverkehrsunternehmen wie DB Regio, metronom oder NordWestBahn vermietet, fördert Bahnstrecken und Bahnhöfe sowie berät Städte und Gemeinden bei Mobilitätskonzepten. Die bekannten Probleme bei Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit seien nicht wegzuwischen, erklärte Schwabl. Genauso wenig seien die Ursachen – die mangelnde Leistungsfähigkeit der Infrastruktur, veraltete Technik in Stellwerken, uneinheitliche Software und nicht zuletzt der Personalmangel – schnell zu beheben. Die Digitalisierung von Stellwerken wie etwa in Kreiensen, aber auch der Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern und Eisenbahnverkehrsunternehmen seien die wirksamsten Stellschrauben, um die aktuellen Herausforderungen zu lösen. Die dadurch frei werdenden Kapazitäten im Netz wolle die LNVG durch die Ausweitung von Streckenabschnitten („Reaktivierung“), eine erhöhte Taktung und nachhaltigere sowie autonome Fahrzeuge nutzen, so Schwabl. Die Grundlage hierfür bilde das „SPNV-Konzept 2030+/2040+“, das auch für Elze Verbesserungen vorsieht.
Riesiger Investitionsbedarf, wenig Zeit
Mehr Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit auf der Schiene seien auch die Voraussetzungen, damit der Anschluss an den Bus funktioniert, knüpfte Kai Henning Schmidt, Geschäftsführer der RVHI Regionalverkehr Hildesheim GmbH, nahtlos an. Auf drei Linien warten seine Busse auf die in Elze ankommenden Bahnreisenden – oder die Busreisenden auf die verspäteten Züge. Mangels eines Informationsaustausches in Echtzeit und der eigenen engen Taktung sei ein Warten selten möglich. Abhilfe könnte mittelfristig der Einsatz von KI-gestützten Systemen sein, so Schmidt. Die Dekarbonisierung der Busflotte in Stadt und Landkreis Hildesheim sieht der Geschäftsführer des kommunalen Nahverkehrsunternehmens allerdings als noch größere Aufgabe. Es bestehe ein „riesiger Investitionsbedarf in Angebots-Ausbau, Fahrzeuge und Infrastruktur“, so Schmidt, und fügte hinzu: „Wir haben wenig Zeit für die Umsetzung“, gleichzeitig seien die kommunalen Haushalte „an der Grenze der Leistungsfähigkeit“. Hoffnung, dass sich die Aufgabe dennoch lösen lasse, zieht er aus dem bisher Erreichten. So habe der RVHI sein Angebot in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent ausgebaut – „nicht spektakulär aber kontinuierlich“. Diesen Kurs werde man weiterfahren: Angebote optimieren und verbessern, bedarfsgesteuerte Verkehre wie das „Anruf-Linien-Taxi“ (ALT) weiterentwickeln, Information und Kommunikation sowie die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln ausbauen.
ADAC setzt auf Bus und Bahn
Die bessere Verknüpfung von Verkehrsmitteln ist auch das Anliegen von Michael Weber, Sprecher des geschäftsführenden Vorstands des ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt e.V. mit rund 1,5 Millionen Mitgliedern. Diese wünschten sich eine effiziente, bezahlbare und nachhaltige Mobilität. Dafür brauche es den richtigen Verkehrsmix, so Weber, der sich auch als regelmäßiger Bahnfahrer bekannte. „Entscheidend ist, gute Alternativen zum eigenen Auto sichtbar zu machen. Gleichzeitig muss stärker auf das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste geachtet werden – insbesondere nachts, denn genau hier liegt ein zentrales Bedürfnis und zugleich ein Hindernis für die Nutzung des ÖPNV“, nahm er zugleich Bezug auf eine zwei Tage zuvor vorgestellte ADAC-Studie zu nächtlichen Verbindungen in 20 deutschen Großstädten. Zumindest für die urbanen Zentren empfehle der ADAC daher einen flächendeckenden Ausbau der sogenannten „On-Demand-Verkehre“ – für ländliche Räume wie etwa in Elze sieht RVHI-Geschäftsführer Schmidt darin dagegen „keinen Problemlöser“. Zu hoch seien die Kosten pro Fahrgast und Kilometer und die Anbindung an den Bahnverkehr „funktioniere nur bedingt“.
Die Verlässlichkeit von Bus und Bahn stellte Thomas Küllig, parteiloser Bürgermeister des Flecken Coppenbrügge, während der Podiumsdiskussion in den Mittelpunkt. Über ein Jahr mussten die rund 7.000 Einwohner seiner Gemeinde im Landkreis Hameln-Pyrmont auf den Schienenersatzverkehr setzen – mit teils erheblich längeren Fahrtzeiten. Doch auch jetzt, wo die RB77 wieder fährt, sei kein Verlass auf den Anschluss. Eine Schwäche des ÖPNV sei auch die starke Orientierung an Landkreisgrenzen. So gebe es keine direkten Busverbindungen in die Städte und Gemeinden der direkt angrenzenden Region Hannover. Ein neidischer Blick, den viele ländliche Regionen auf die größeren Städte werfen, wo der ÖPNV auch in den öffentlichen Haushalten eine größere Rolle spielt. Ein Bereich, in dem es – zumindest von Landesseite – nicht an Geld mangelt, ist jedoch der Neubau von Bushaltestellen, der Umbau von Bahnhöfen oder auch Park+Ride-Anlagen, wie Dr. Christoph Wilk, Abteilungsleiter Verkehr im Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Bauen, deutlich machte. Die Förderung betrage 75 Prozent und es sei „noch kein Antrag aus Geldmangel abgelehnt worden“. Oft fehle es jedoch an der Initiative der Kommunen – auch dabei, Unterstützung bei der Erstellung von Mobilitätskonzepten zu erhalten, so Wilk, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der LNVG ist.
Eingefahrene Denkweisen verlassen
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde nochmals die Bedeutung unterstrichen, die ein leistungsfähiger Personennahverkehr für viele Menschen hat. Dazu gehören Pendler sowie Seniorinnen und Senioren genauso wie Schülerinnen und Schüler oder Auszubildende. „In einem Flächenland wie Niedersachsen ist ein integrierter und zuverlässiger ÖPNV die Voraussetzung für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wir benötigen attraktive ÖPNV-Infrastrukturen und Angebote bis zur Haustür“, fasste Gastgeber Andreas Bosk zusammen. „Wir brauchen innovative Ideen und Lösungen und müssen dazu auch bereit sein, eingefahrene Denkweisen zu verlassen und Prozesse neu zu denken – dabei sind alle Akteure gefordert“, so der WirtschaftsDienst-Geschäftsführer. Wie wichtig dies ist, zeigte der Blick aus der Wartehalle auf die Bahnsteige: Kein einziger Regionalzug kam während der Veranstaltung pünktlich, während die Busse ihrem Fahrplan folgten.
Text: WirtschaftsDienst (RED), 09.10.2025
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